Nicholas Allan „Wie ich entdeckte, dass ich Sex brauche"
Claassen-Verlag, Hildesheim 1996

Was Sie schon immer über die Phantasien von pubertierenden Jungen wissen wollten – in dem Buch „Wie ich entdeckte, dass ich Sex brauche" von Nicholas Allan können Sie es erfahren. Ironisch, humorvoll und offen schildert Nicholas Allan die Entwicklung von einem schüchternen, unwissenden Knaben zu einem coolen Draufgänger, der dann die Liebe entdeckt. Ein Buch, das schonungslos eine männliche sexuelle „Initiation" zeigt, voller Selbstzweifel, Einsamkeit und Abenteuern. Ein Buch über eine Zeit voller Unsicherheit und die Schwierigkeiten zwischen den Geschlechtern.

Der Wandel

So ahnungslos wie Jake sind viele Jungen aufgewachsen. Er kennt weder seinen Körper, noch den der Mädchen. Onanie ist sein Geheimnis, bis er entdeckt, dass Sex eine Handlung zwischen Männern und Frauen ist. Nun ist Jake in einem Dilemma, denn Liebe und Sex sind für den unschuldigen Jake zwei grundverschiedene Seiten. Als Kind träumt er von einer reinen romantischen Liebe mit „jungfräulichen Wesen" – als heranwachsender Junge will er Sex mit einer Frau – etwas Gefährliches, Verbotenes und Unwiderstehliches. Also verabschiedet sich Jake von seiner romantischen Ader um „so rasch wie möglich in den Genuss von Sex zu kommen". Dafür muss er seine Schüchternheit ablegen. Ein Schulwechsel ermöglicht ihm den gut vorbereiteten Wandel seiner Persönlichkeit. Vorbilder sucht er sich im Kino: Marlon Brando, Tom Cruise, Mickey Rourke, Sylvester Stallone und Clint Eastwood weisen Jake den Weg. Ein sexuell erfolgreicher Mann ist bis in die Fingerspitzen cool, knallhart und unabhängig. Gefühle? Mit seinen Gefühlen ist Jake allein, denn Angst und Zweifel sind die Antipoden des Erfolgs.

Eine Erfolgsbilanz

Mit seinem neuen Image gelingt es Jake, alle Mitschüler für sich zu gewinnen. Angefangen bei dem schüchternen Craig, der Jakes frühere Rolle verkörpert, bis hin zu der hübschen Ella, deren Eroberung Jake wie einen Kriegszug plant. Er lässt sie alte Fotos von Freundinnen und Kondome in seiner Brieftasche entdecken. Er hält sich fern von ihr, um ihre Begierde anzustacheln. Er trifft sich mit anderen Frauen, um sie eifersüchtig zu machen. Jake wird bewusst, dass „es nichts mit Liebenswürdigkeit zu tun hat, wenn man Schneewittchens Zuneigung gewinnen will." Er erweckt in sich das „Frankensteinsche Monster", um das zu bekommen, was er will: Anerkennung, Freundschaft und vor allem: Sex! Das erste Mal findet in einem Hotelzimmer statt. Weil Ella von nichts weiß, merkt sie nicht, dass Jake nichts weiß. Während sie sich preisgibt, bleibt er verschlossen, auf Erfolg programmiert. Seine Bilanz mit 15 Jahren: zum ersten Mal mit einem Mädchen geschlafen, mehr als 15 Kondome verbraucht, zum ersten Mal Alkohol getrunken, Zigaretten geraucht und Koks geschnupft, ein Motorrad gestohlen und der beliebteste Junge der Schule geworden.

Die erneute Wandlung

Nicholas Allen erzählt die Geschichte von Jake ohne Bewertung und mit schonungsloser Offenheit. Der „Ich-Erzähler" Jake bemüht sich nicht, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Er erzählt von seinen Lügen, Ängsten und Intrigen. Er beschreibt einen Weg voller Irrungen, Wirrungen und Gefahren, der ihn schließlich zu seinen wahren Gefühlen bringt. Doch bis dahin ist es weit. Jake muss erst erkennen, wie einsam er wirklich ist. Der Tod seiner geliebten Tante P. ist Auslöser für Jakes erneute Wandlung. Der Vater ist unfähig, über den Tod seiner Schwester zu trauern, und Jake erkennt die Leere im Leben seines Vaters. An dieser Stelle des Buches wird deutlich, wie sehr Jake an der abwesenden Haltung seines Vaters leidet. Ohne Führung musste sich Jake seinen eigenen Weg suchen, ein Weg voller falscher Erwartungen und Handlungen. Doch Jake kann sich fangen. Er gerät nicht auf die schiefe Bahn, sondern zieht sich zurück, verbringt die Ferien im Entzug von Alkohol, Zigaretten, Freundschaften und kommt sanfter, freundlicher und voller Hoffnung zurück.

Gefühl und Verstand

Die Geschichte von Jake gipfelt in einem Treffen zwischen ihm und Ella. Sie liebt diesen schroffen Kerl immer noch, der ihr nun zum ersten Mal wirklich in die Augen schaut. War Jake bislang nur auf Sex aus, so lässt er nun die romantischen Gefühle in sich zu. In einem Kuss versinkt die ganze Welt um ihn herum, er fühlt sich jung, verliebt und unsterblich. Er ist Ella jetzt zum ersten Mal wirklich nah. Jake hat die Liebe entdeckt, die ihn ganz erfüllt. Ganz? Nein, denn im Hintergrund lauert sein „Monster", die wilde und verletzende Seite von Jake, mit der er sich von seiner naiven Kindheit verabschiedet hat. Jake ist erwachsen geworden. Die Geschichte von Jake hat einen offenen Ausgang. Er hat sowohl die Fähigkeit zu lieben als auch die kühl kalkulierende Ratio in sich entdeckt. Gefühl und Verstand, so sagt sich Jake, haben nichts miteinander zu tun. Schön, wenn man beides besitzt.

 

Warum ich dieses Buch Männern empfehle

Die Geschichte von Jake ist ein ehrliches und ungeschminktes Zeugnis über die Schwierigkeiten der Pubertät. Sie handelt von falschen Vorstellungen, Einsamkeit und Selbstüberschätzung. Sie zeigt die Ängste und Probleme von Jungen, die mit ihrer sexuellen Entwicklung allein gelassen werden. Jeder Mann hat diese Phase voller Unsicherheit und Selbstzweifel mitgemacht und kann sich anhand der Geschichte von Jake an seine eigene sexuelle Initiation erinnern. Der Humor und die Offenheit des Autors sind gute Medizin gegen Schuldgefühle, die auch erwachsene Männer mit sich herum tragen. Männer sind anders, Jungen auch. Ganz besonders ist das Buch auch Vätern heranwachsender Söhne zu empfehlen.
Martin Ganzkow

 

   

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